Veranstaltung zum Themenschwerpunkt “Groß-Wien im Krieg” im Wien Geschichte Wiki: „Arbeitsscheu und moralisch verkommen“ – Arbeitsanstalten für „asoziale“ Frauen in „Groß-Wien“
Vortragende: Dr.in Helga Amesberger, Dr.in Brigitte Halbmayr (Institut für Konfliktforschung)
Moderation: Dr.in Brigitte Rigele
9. Jänner 2020, 18:00, Vortragssaal des Wiener Stadt- und Landesarchivs (Gasometer D, 4. Archivgeschoss, 11., Guglgasse 14; Zugang über Gasometer A und die Mall)
Im Rahmen des Themenschwerpunkts des Wiener Stadt- und Landesarchivs und des Wien Geschichte Wiki „Groß-Wien im Krieg“ gab es am 9. Jänner 2020 eine weitere Veranstaltung. Dr.in Helga Amesberger und Dr.in Brigitte Halbmayr vom Institut für Konfliktforschung stellten ihr Buch „;Arbeitsscheu und moralisch‘ verkommen. Verfolgung von Frauen als ‚Asoziale‘ im Nationalsozialismus“ vor, das 2019 im Mandelbaum Verlag erschienen ist. Die Archivdirektorin Dr.in Brigitte Rigele begrüßte die zahlreich erschienenen Mitglieder des Vereins für Geschichte der Stadt Wien. Sie freute sich, dass ein Großteil der Materialien für dieses Buch aus dem Wiener Stadt- und Landesarchiv stammen und mit dem Buch wieder ein Stück der Geschichte des Steinhof-Pavillons 23 aufgearbeitet wurde.
Frau Dr.in Amesberger berichtete, dass die nationalsozialistische Idee vom „reinen Volkskörper“ viele Ausschlusskriterien kannte. Dem Bestreben, die „schädlichen Elemente“ aus der rassistisch definierten „arischen Volksgemeinschaft“ zu entfernen, fielen auch Frauen zum Opfer, die aufgrund ihrer vermeintlich fehlenden Arbeitsmoral („arbeitsscheu“) oder eines „amoralischen“ Lebenswandels in den Fokus der Behörden gerieten. Dafür gab es in Wien eine von der NSDAP eingerichtete Asozialenkommission, die insgesamt rund 1300 Frauen in die Arbeitsanstalten (AA) Klosterneuburg und Steinhof sowie in diverse Konzentrationslager einwies.
Die AA Klosterneuburg wurde 1940 für „leichtere Fälle“ gegründet, wobei die Schwestern der Caritas Socialis weiterhin als Pflegepersonal zur Verfügung standen, weil sie dort bereits seit 1920 eine Heilanstalt für Frauen betreuten. Die „schwereren Fälle“ kamen in die AA im Pavillon 23 Steinhof, wo nicht nur wie in Klosterneuburg Arbeit als Erziehungsmaßnahme eingesetzt wurde, sondern die Frauen auch intensiven Strafen und Schikanen sowie Zwangssterilisationen ausgesetzt waren. Insgesamt befanden sich rund 650 Frauen in den beiden AA und wurden teilweise auch in Konzentrationslager überführt.
Frau Dr.in Brigitte Halbmayr berichtete anschließend über die Prozesse, die nach 1945 gegen das Personal der AA Steinhof geführt wurden. 1946 verurteilte das Volksgericht den Leiter der Anstalt Dr. Alfred Hackel und sechs PflegerInnen nach dem Kriegsverbrechergesetz wegen der Misshandlung der als „asozial“ verfolgten Frauen zu teils hohen Haftstrafen. Diese Haftstrafen wurden jedoch 1948 bei einer Wiederaufnahme des Verfahrens drastisch verringert, wobei in diesem zweiten Urteil den Aussagen Dr. Hackels und des Personals mehr und den Zeuginnen weit weniger Gewicht als 1946 eingeräumt wurde, weil man die Glaubwürdigkeit dieser Opfer infrage stellte.
Zu diesem Thema „asozial -Ausgrenzung gestern und heute“ hat das Institut für Konfliktforschung auch eine Wanderausstellung zusammengestellt, die zeigt, dass Stigmatisierung und Disziplinierung von Frauen eine jahrhundertealte Geschichte haben, die in der Radikalisierung im Nationalsozialismus ihren Höhepunkt, nicht aber ihren Endpunkt fand. (Bericht und Fotos: Alfred Paleczny)
Zur Person
Mag.a Dr.in Helga Amesberger, Studium der Ethnologie und Soziologie sowie der Politikwissenschaft an der Universität Wien. Seit 1993 wissenschaftliche Mitarbeiterin am IKF, Lektorin an verschiedenen österreichischen Universitäten. Forschungsschwerpunkte: Prostitutionspolitik, Nationalsozialismus und Holocaust, Gewalt gegen Frauen, Rassismus, feministische Forschung.
Mag.a Dr.in Brigitte Halbmayr, Studium der Soziologie und Politikwissenschaft an der Universität Wien, seit 1992 wisenschaftliche Mitarbeiterin am IKF. Forschungsschwerpunkte: Rassismus, Rechtsextremismus, Integration, gender studies, Nationalsozialismus und Holocaust, Oral History.
Zur vorherigen / nachfolgenden Veranstaltung:
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