Führung: „… Vor Schand und Noth gerettet“?! Findelhaus, Gebäranstalt und die Matriken der Alser Vorstadt
Führung durch die Sonderausstellung im Bezirksmuseum Josefstadt
Führung: Anna Jungmayr, BA (Wien Museum)
4. Oktober 2021, 17:00, Bezirksmuseum Josefstadt, 8., Schmidgasse 18
Am 4. Oktober 2021 führte die Kuratorin Anna Jungmayr durch die Sonderausstellung „‚… Vor Schand und Noth gerettet‘?! Findelhaus, Gebäranstalt und die Matriken der Alser Vorstadt“ im Bezirksmuseum Josefstadt. Die bis 30. März 2022 laufende Ausstellung wurde von einem interdisziplinären Team von über 15 wissenschaftlichen Institutionen, darunter dem Wiener Stadt- und Landesarchiv, gestaltet. Die Kuratorin der Ausstellung Anna Jungmayr, BA, vom Wien Museum spannte in ihrer Führung für zahlreiche Mitglieder des Vereins für Geschichte der Stadt Wien einen weiten historischen Bogen von der Einrichtung des Findelhauses und der Gebäranstalt im Jahr 1784 durch Kaiser Josef II. bis in die heutige Zeit und gab einen Einblick in die Lebensbedingungen der Kinder und ihrer zumeist ledigen Mütter. Weiters zeigte sie anhand der Exponate und eigens eingerichteten Online-Stationen die Möglichkeiten der Recherche in den Matriken dieser Einrichtungen.
Das Findelhaus in der Alser Straße 23 sollte dazu beitragen, Kindsmorde zu verhindern und die Kindersterblichkeit zu reduzieren. Im Laufe seines Bestehens bis 1910 nahm es circa 750.000 Kinder auf und vermittelte sie zu Pflegeplätzen auf dem Land. Der Großteil dieser Kinder kam in der Gebäranstalt, die sich auf dem Areal des ehemaligen AKH befand, zur Welt und wurde in der Pfarre Alservorstadt getauft. In manchen Jahren des 19. Jahrhunderts wurde ein Drittel aller Kinder in Wien in der Gebäranstalt geboren, wobei die Sterblichkeitsrate mehr als zwei Drittel betrug. Die reichen Frauen konnten gegen Bezahlung hier anonym gebären, während die mittellosen Frauen den Studenten als „Unterrichtsmaterial“ dienten und unbezahlte Arbeiten verrichten mussten. Das Findelhaus und die Gebäranstalt wurden erst 1910 von moderneren Maßnahmen der Kinderfürsorge abgelöst.
Frau Jungmayr berichtete weiters von den kaum vorhandenen Verhütungsmethoden und dass Schwangerschaftsabbrüche unter Todesstrafe standen und ungewollte Schwangerschaften reine „Frauenprobleme“ waren, weil die Väter kaum zur Verantwortung gezogen wurden. Schließlich zeigte sie anhand einiger Exponate, wie sich die Gebärbedingungen bis in die heutige Zeit für die ärmeren Bevölkerungsschichten geändert haben.
Bericht und Fotos: Alfred Paleczny
Zur Person
Anna Jungmayr, BA, Mitarbeiterin des Wien Museums – Stabstelle Bezirksmuseen.
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