Vortrag: Ein Kaufkraftrechner für Wien. Der historische Lebensstandard der Stadt seit dem Spätmittelalter
Veranstaltung des Wiener Stadt- und Landesarchivs (in Kooperation mit dem Verein für Geschichte der Stadt Wien)
Vortragender: Michael Adelsberger, MA MSc (Universität Wien, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte)
Moderation: Univ.-Doz. Dr. Andreas Weigl
4. April 2024, 18:00, Vortragssaal des Wiener Stadt- und Landesarchivs sowie Online-Raum
In seinem Vortrag behandelte der Wirtschaftshistoriker Michael Adelsberger zunächst allgemeine Zugänge zur Berechnung von „Wohlstand“ in historischen und gegenwärtigen Gesellschaften. Ausgehend von dem noch immer gängigsten Indikator, dem Bruttoinlands- beziehungsweise Bruttonationalprodukt pro Kopf, welches sich nur bei besonders günstiger Datenlage und mit zahlreichen methodischen Problemen auch in weiter zurückliegende Zeiträume berechnen beziehungsweise schätzen lässt, ging er auf eine Verbreiterung des Wohlstandskonzepts (durch Berücksichtigung von Lebenserwartung und Bildung), etwa in Form des Human Development Index, näher ein.
Eine zentrale Komponente der Wohlstandberechnung für historische Populationen stellt die Entwicklung der Preise dar. Sie ermöglicht die Berechnung inflationsbereinigten realen Wachstums, wie auch überregionale Vergleiche in Kaufkraftparitäten. Für Österreich stehen mittlerweile mit dem Währungsrechner der Oesterreichischen Nationalbank und dem Wertsicherungsrechner von Statistik Austria statistische Werkzeuge zur Verfügung, die Rückrechnungen bis in das frühe 19. Jahrhundert erlauben.
Für weiter zurückreichende Zeiträume fehlt es jedoch an seriellen Daten, die eine Zusammenstellung eines Warenkorbes erlauben. Für diesen Fall und auch aufgrund der methodischen Probleme der anderen Rechner wurde von Adelsberger ein Kaufkraftrechner für Wien auf Basis von Preisreihen des Wiener Bürgerspitals und anderer Quellen erarbeitet, der bis in das 15. Jahrhundert zurückreicht und seit kurzem im Wien Geschichte Wiki der Allgemeinheit zur Verfügung steht. Er erlaubt die Berechnung relativer Preise, die gerade für das Spätmittelalter und die Frühe Neuzeit aussagekräftiger sind als manche Rückrechnungen des Bruttonationalprodukts auf problematischer Datenbasis. Wie Adelsberger abschließend an einer von ihm erstellten Zeitreihe von „Welfare ratios“ für Wien demonstrierte, war die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts durch vergleichsweise hohen Wohlstand gekennzeichnet, während dieser vor allem im Lauf des 18. Jahrhunderts immer mehr abnahm. Eine Erweiterung des Kaufkraftrechners bis Ende 2024 ist geplant.
Bericht: Andreas Weigl
Fotos: Julian Traut
Zur Person
Michael Adelsberger ist Wirtschafts- und Sozialhistoriker und befasst sich vor allem mit der Geschichte von Preisen und Löhnen. In seiner Dissertation behandelt er verschiedene Formen des Lohneinkommens im Wien des 16. und 17. Jahrhunderts. Zuletzt hat er, in Kooperation mit dem Wiener Stadt- und Landesarchiv, den historischen Kaufkraftrechner für Wien erarbeitet.
Zur vorherigen / nachfolgenden Veranstaltung:
« Vortrag: Der Heilige Patrick. Der Mensch hinter der LegendeVortrag: „Land, Land, endlich Land!” Österreich und die Arktis im 19. Jahrhundert »