Veranstaltung: Wiener Friedhöfe. Vom Gottesacker zum Zentralfriedhof
Veranstaltung des Wiener Stadt- und Landesarchivs zum Themenschwerpunkt im Wien Geschichte Wiki „Wiener Friedhöfe. Vom Gottesacker zum Zentralfriedhof“ (in Kooperation mit dem Verein für Geschichte der Stadt Wien)
Vortragende: Prof.in Dr.in Susanne Claudine Pils, MAS (Wiener Stadt- und Landesarchiv), Univ.-Doz. Dr. Andreas Weigl (Wiener Stadt- und Landesarchiv), Dr. Peter Payer (Technisches Museum Wien)
Moderation: Dr. Christoph Sonnlechner, MAS
3. Oktober 2024, 18:00, Vortragssaal des Wiener Stadt- und Landesarchivs, Gasometer D, 11., Guglgasse 14 (4. Archivgeschoß; Zugang über Gasometer A und die Mall) sowie Online-Raum
Wiener Friedhöfe. Vom Gottesacker zum Zentralfriedhof
Das Wiener Stadt- und Landesarchiv präsentiert regelmäßig Themenschwerpunkte zu Aspekten der Wiener Stadtgeschichte. Diese werden im Wien Geschichte Wiki, der historischen Wissensplattform der Stadt Wien, aufbereitet und mit digitalisierten Originalquellen verbunden.
„Der Tod, das muss ein Wiener sein“
Den Wienerinnen und Wienern wird seit jeher ein besonderes Verhältnis zum Tod nachgesagt. Im mittelalterlichen Wien gab es innerhalb der Stadtmauern mehrere Friedhöfe. Die Stadtverwaltung strebte aufgrund hygienischer Missstände die Verlegung der öffentlichen Friedhöfe aus der ummauerten Stadt
in die Vorstadtzone an.
1784 ordnete Joseph II. die Auflassung sämtlicher innerhalb des Linienwalls gelegenen Friedhöfe an. Die fünf neu eingerichteten Kommunalfriedhöfe lagen allerdings nicht am Stadtrand, sondern mitten im Siedlungsgebiet. Daher wurde nahe dem Ort Simmering ein großer Zentralfriedhof errichtet, der am 1. November 1874 eröffnet wurde. Heute betreuen die Wiener Friedhöfe neben dem Zentralfriedhof 45 weitere Friedhöfe.
Themenschwerpunkt im Wien Geschichte Wiki
Der Themenschwerpunkt behandelt die Geschichte der Friedhöfe beginnend mit den ältesten Begräbnisstätten im Stadtgebiet. Dargestellt werden sie auf interaktiven Karten. Auch die auf den einzelnen Friedhöfen bestatteten prominenten Personen sind aufgelistet. Zusätzlich findet man Informationen zu verschiedenen Grabarten, zu besondere Grabstätten wie einzelne Mausoleen und Grabdenkmäler sowie zum Bestattungswesen im Allgemeinen.
Programm
Begrüßung: Direktorin Dr.in Brigitte Rigele (Wiener Stadt- und Landesarchiv)
Prof.in Dr.in Susanne Claudine Pils, MAS (Wiener Stadt- und Landesarchiv)
- Einleitung: Die Wiener Friedhöfe im Wien Geschichte Wiki
Univ.-Doz. Dr. Andreas Weigl (Wiener Stadt- und Landesarchiv)
- Vortrag: Die Wiener Friedhöfe und die Stadthygiene
Dr. Peter Payer (Technisches Museum Wien)
- Vortrag: Der Gestank des Todes. Friedhofsanlagen und Desodorisierung
Abstract (Andreas Weigl)
Mit der Stadtwerdung Wiens im 12. Jahrhundert entwickelte sich auch eine Friedhofslandschaft innerhalb der Stadtmauern, die dadurch gekennzeichnet war, dass die Friedhöfe direkt bei den Pfarrkirchen, innerhalb der Klostermauern oder aber bei den Spitälern angesiedelt waren. Wegen des Platzmangels blieben die Gebeine Verstorbener nur einige Jahre unter den mit einfachen Kreuzen gekennzeichneten Grabstätten, dann wurden sie exhumiert und in einem Beinhaus gesammelt. Trotz wiederkehrender Seuchen wurde die räumliche Konzentration der Gräber auf die immer dichter besiedelte ummauerte Stadt nicht als hygienisches Problem gesehen.
Nach der vorherrschenden Hippokratisch-Galenische Säftelehre beruhte jede Krankheit auf einem Ungleichgewicht der Säfte im Körper. Ansatzpunkt ärztlicher Praxis war daher immer das spezifische kranke Individuum, die wahre Therapie die Anthropoplastik. Zwar wurden Krankheiten seit der Renaissance nicht primär als Abweichungen von einem inneren Gleichgewichtszustand gedeutet, sondern auf körperfremde, unzureichend assimilierte oder verdorbene Stoffe zurückgeführt. Dies änderte jedoch nichts an einer am kranken Individuum orientierten Behandlung, die auf Ausscheidung zum Zweck der Körperreinigung und Wiederherstellung eines idealen Säftegleichgewichtes setzte.
Als ab dem 16. Jahrhundert Landesfürst und Stadtregiment die Verlegung der öffentlichen Friedhöfe aus der ummauerten Stadt in die Vorstadtzone monierten, war das nicht hygienischen Gründen geschuldet, sondern dem Mangel an Wohnraum für den wachsenden Hofstaat. Alle diesbezüglichen Versuche stießen aber auf hartnäckigen Widerstand breiter Bevölkerungsschichten wie auch kirchlicher Stellen. Der Stephansfreithof wurde erst 1732, der Schottenfreithof 1751 aus der Stadt hinaus verlegt.
Im Zeitalter der Aufklärung setzte sich allmählich ein „medical environmentalism“ durch, die die Desodorisierung des Stadtraums zum Ziel der „medizinischen policey“ erklärte. Die darauf ausbauende Miasmenlehre blieb bis in das dritte Viertel des 19. Jahrhunderts einflussreich und begründete die Verlagerung der Friedhöfe in periphere Zonen, so auch den Bau des Wiener Zentralfriedhofs, mit. Erst ein Jahrzehnt nach dessen Eröffnung sorgten die Erkenntnisse der Bakteriologie für die Entdeckung der wahren Hintergründe der Verbreitung infektiöser Erkrankungen, im Besonderen der Seuchen.
Abstract (Peter Payer)
Die Theorie der „miasmatischen Infektion” bestimmte im 18. und 19. Jahrhundert viele Bereiche des urbanen Geschehens. Üble, aus dem Boden aufsteigende Gerüche (Miasmen) wurden für die Ausbreitung von Krankheiten und Seuchen verantwortlich gemacht, weshalb Hygieniker und Ärzte vielfältige Strategien zur olfaktorischen Reinigung der Stadt vorschlugen (Ventilation, Kanalisation, Straßenpflasterung, Verlagerung von Gestankserregern an die Peripherie etc.). Die Anlage neuer Friedhöfe folgte diesem Muster, gehörte doch der Gestank verwesender Körper zu den gefürchtetsten Emanationen. Der Vortrag beleuchtet die Palette der Desodorisierungsmaßnahmen – mit Schwerpunkt auf die Errichtung des Wiener Zentralfriedhofs bis hin zum Projekt einer pneumatischen Leichenbeförderung.
Abbildung (Titelbild): Themenschwerpunkt „Wiener Friedhöfe. Vom Gottesacker zum Zentralfriedhof“ (Flyer) (Wiener Stadt- und Landesarchiv, Plan- und Schriftenkammer, P3/5: 107907.7.1 – Nicht realisierter Wettbewerbsplan „piis lacrimis“ zur Anlage des Zentralfriedhofs)
Online-Raum
Online-Raum
Meeting-ID: 841 2039 5642
Kenncode: 847436
Zur Person
Prof.in Dr.in Susanne Claudine Pils, MAS, Mitarbeiterin im Wiener Stadt- und Landesarchiv, Stellvertretende Leiterin “Archivnutzung”, Präsidentin des Vereins für Geschichte der Stadt Wien. Forschungsbereiche: Frühe Neuzeit, Sozialgeschichte der Medizin, Frauen- und Gendergeschichte, Zeitgeschichte.
Dr. Peter Payer ist Historiker, Stadtforscher und Publizist. Inhaber eines Büros für Stadtgeschichte, Kurator im Technischen Museum Wien. Vorstandsmitglied des Vereins für Geschichte der Stadt Wien und des Österreichischen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Sinnesgeschichte der Großstadt, öffentlicher Raum, Wiener Feuilleton.
Univ.-Doz. Dr. Andreas Weigl, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Wiener Stadt- und Landesarchivs und Lehrender am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Stadt Wien, Vorsitzender des Österreichischen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung und Viktor-Adler-Preisträger für Geschichte der Sozialen Bewegungen, Arbeiten zur Bevölkerungs-, Konsum-, Stadtgeschichte und Sozialgeschichte der Medizin.
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