Vortrag: Die Awaren in Wien!? Auf der Spurensuche nach einem verschwundenen „Volk“ im heutigen Wien
Vortragende: Dr. Salvatore Liccardo, Dr. Bendeguz Tobias (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Institut für Frühmittelalterforschung)
Moderation: Paul Mitchell, BA
21. November 2024, 18:00, Vortragssaal des Wiener Stadt- und Landesarchivs, Gasometer D, 11., Guglgasse 14 (4. Archivgeschoß; Zugang über Gasometer A und die Mall) sowie Online-Raum
Am 21. November 2024 beschäftigten sich bei der gut besuchten Hybridveranstaltung (50 Personen in Präsenz und über 30 Personen online) unter der Moderation von Paul Mitchell, BA, Dr. Salvatore Liccardo und Dr. Bendeguz Tobias von der Österreichische Akademie der Wissenschaften (Institut für Frühmittelalterforschung) im Vortragssaal des Wiener Stadt- und Landesarchivs mit Mittel- und Osteuropa an der Wende von der Antike zum frühen Mittelalter und insbesondere mit der Präsenz der Awaren im Wiener Raum.
Dr. Salvatore Liccardo schilderte den Übergang von der Zeit des römischen bis zum Beginn des karolingischen Reiches in Mittel- und Osteuropa. Die römische Provinz Pannonia, zu der auch der Osten des heutigen Österreichs gehörte, erlebte nach Kaiser Severus (193–211) ein goldenes Zeitalter, in dem dank des regionalen Reichtums Kultur und Wirtschaft gefördert wurden, eine Straßenverbindung zwischen dem Westen und dem Osten des Reiches stattfand, und in dem sich ein wichtiger Militärstützpunkt befand.
Nach dem Ende der römischen Herrschaft erlebte dieser Raum eine wechselvolle Geschichte. Die schriftlichen Quellen berichten von Goten, Hunnen, Gepiden, Skiren, Herulern, Rugiern und Langobarden, die sich im 5. und 6. Jahrhundert zumindest zeitweise hier niedergelassen haben. Während die Langobarden in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts nach Italien abzogen, errichteten die Awaren im Karpatenbecken aus den ostasiatischen Steppengebieten kommend ihr Herrschaftsreich. Von hier aus führten sie zahlreiche Kriegszüge in den Balkanraum durch und standen 626 vor den Toren Konstantinopels. Nach der gescheiterten Belagerung endete ihre expansive Politik weitgehend, dementsprechend verstummen auch die Nachrichten über sie. Erst mit den Kriegszügen Karls des Großen am Anfang des 9. Jahrhunderts gelangen sie wieder in das Blickfeld, nun aber in jenes von Historikern aus dem Westen.
Umso wichtiger sind die Zeugnisse dieser Zeit, die durch langjährige archäologische Forschungen vor allem im Bereich des Wiener Stadtgebietes aufgedeckt wurden. Eines der größten frühmittelalterlichen Gräberfelder Österreichs wurde vor mehr als vierzig Jahren im 11. Bezirk, Csokorgasse, ausgegraben. Neben vielen anderen kleineren Gräberfeldern im heutigen Stadtgebiet gab es auch zwei bedeutende in Leobersdorf und Mödling.
Während in Westeuropa mit der Ausbreitung des Christentums die Beigabensitte weitgehend aufgegeben wurde, praktizierte man sie im awarischen Raum weiter. So geben uns die Waffen, Alltagsgegenstände, aber auch Überreste von Speisebeigaben einen Einblick in die damalige Alltagskultur. Für die Forschung werden außerdem seit einigen Jahren moderne Methoden der Genetik angewendet, bei der durch tausende DNA-Analysen familiäre Beziehungen der Bestatteten, soziale Strukturen, Stammbäume und Verwandtschaftsbeziehungen mit Bestatteten in anderen Gräberfeldern in Osteuropa möglich sind. Weiters werden in diesem Forschungsprojekt der Österreichischen Akademie der Wissenschaften mit dem Namen ERC-Synergy Grant Projekt HistoGenes die Auswirkungen von Naturkatastrophen und Epidemien (Lepra, Malaria) auf die damalige Zeit erforscht.
Während es im Wiener Stadtgebiet nach dem Kriegszug Karls des Großen keine weiteren Nachweise der Awaren gibt, entstanden vor allem in Niederösterreich weitere Siedlungen mit Menschen, bei denen awarische Einflüsse nachweisbar sind. In Wien selbst gibt es erst wieder im 9. Jahrhundert im Bereich der Peterskirche ein Gräberfeld.
Da neben zahlreichen Mitgliedern des Vereins auch viele Archäologie-Experten anwesend waren, gab es nach den Vorträgen eine lange Diskussion, ob eher Veränderungen des Klimas oder der politischen Verhältnisse Gründe für die Völkerwanderungen waren, und über die Durchführung der modernen genetischen Untersuchungen.
Vortrag auf Youtube
Der Vortrag wurde aufgezeichnet und kann auf unserem Youtube-Kanal angesehen werden:
Vortrag: Die Awaren in Wien!? Auf der Spurensuche nach einem verschwundenen „Volk“ im heutigen Wien
Bericht:
Bericht und Foto 1, 2, 4 und 5: Alfred Paleczny
Foto 3: Bendeguz Tobias
Zur Person
Salvatore Liccardo, Ph.D. (2019), Universität Wien, ist Postdoktorand und Teammitglied des ERC Synergy Grant Projekts HistoGenes. Seine Forschung umfasst Prozesse der Identitätsbildung, Migrationsgeschichte, ethnische Terminologie und geografisches Wissen in spätantiken und frühmittelalterlichen Quellen.
Mag. Dr. Bendeguz Tobias, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Institut für Frühmittelalterforschung ist, wissenschaftlicher Mitarbeiter des ERC Synergy Grant Projekts HistoGenes. Seine Kernforschungsbereiche umfassen die Archäologie des frühmittelalterlichen Zentraleuropas, Mittelmeerraums und der asiatischen Steppengebiete.
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