Veranstaltung: Die Erste Wiener Hochquellenleitung – Von der Planung zur Mythisierung
Veranstaltung des Wiener Stadt- und Landesarchivs zum Themenschwerpunkt im Wien Geschichte Wiki „Die Wiener Wasserversorgung: Vom Hausbrunnen zur Hochquellenleitung“ (in Kooperation mit dem Verein für Geschichte der Stadt Wien)
Vortragende: Mag.a (FH) Dr.in Christina Spitzbart-Glasl (Wien), Univ.-Doz. Dr. Andreas Weigl (Wiener Stadt- und Landesarchiv), Dr. Peter Payer (Technisches Museum Wien)
Moderation: Direktorin Dr.in Brigitte Rigele, MAS
19. Oktober 2023, 18:00, Vortragssaal des Wiener Stadt- und Landesarchivs sowie Online-Raum
Bei der Veranstaltung des Wiener Stadt- und Landesarchivs zum Themenschwerpunkt im Wien Geschichte Wiki „Die Wiener Wasserversorgung: Vom Hausbrunnen zur Hochquellenleitung“ (zum Themenschwerpunkt siehe Wasserversorgung), die am 19. Oktober 2023 in ihrem Vortragssaal wieder in Kooperation mit dem Verein für Geschichte der Stadt Wien stattfand, referierten Mag.a (FH) Dr.in Christina Spitzbart-Glasl, Univ.-Doz. Dr. Andreas Weigl und Dr. Peter Payer, wobei Direktorin Dr.in Brigitte Rigele die Begrüßung und die Moderation übernahm.
Dr.in Rigele dankte in ihrer Begrüßung allen Organisationen, die zu Gelingen dieses Themenschwerpunktes beigetragen hatten, besonders der MA 31 – Wiener Wasser, vertreten durch Dipl.-Ing. Franz Weyrer, und verglich in launiger Weise die auf ein heutiges Preisniveau umgerechneten Gesamtkosten der Ersten Wiener Hochquellenleitung in der Höhe von 222 Millionen Euro mit der gleich hohen, aber bei Weitem nicht so nachhaltigen Ablösesumme des Fußballstars Neymar im Jahr 2017.
Im ersten Referat beschäftigte sich Dr. Weigl mit der Wiener Wasserversorgung vor 1873 und den damit verbundenen sanitären Notständen. Er zog einen weiten Bogen von den Hausbrunnen des Mittelalters über die ersten Wasserleitungen (1504 in Hernals und die Albertinische Wasserleitung des Jahres 1804) bis zur 1835 eröffneten Kaiser-Ferdinand-Wasserleitung. Trotz vieler Quellen im Wienerwald hatte das Wasser eine nicht ausreichende Qualität und lieferte nur den Bruchteil der Kapazität der späteren Hochquellenleitungen.
Ein Umdenken in größere Dimensionen gab es erst ab 1861 unter anderem wegen der Choleraepidemien, sodass – wie Dr.in Spitzbart-Glasl im zweiten Referat schilderte – aus einer Reihe von Projekten die Erschließung der Fischa-Dagnitz-Quellen und des Raxgebietes überblieben. „Motor“ des zweitgenannten Projekts, das sich nach langen Diskussionen knapp im Gemeinderat als „Kaiser-Franz-Josefs-Wasserleitung“ durchsetzte, war der Geologe Eduard Suess, der von Vizebürgermeister Cajetan Felder unterstützt wurde. Die Vorarbeiten leistete eine Wasserversorgungskommission, die die hydrologischen, sozialen und technischen Möglichkeiten prüfte. Nach einem Baubeginn im Jahr 1870 wurde sie am 24. Oktober 1873 mit einer Eröffnungszeremonie beim Hochstrahlbrunnen eröffnet. Der schwierige Ausbau des innerstädtischen Rohrsystems und die Anschlüsse der Wohnhäuser dauerten dann bis circa 1890.
Die Versorgung der Stadt mit hochwertigem Quellwasser aus dem 100 Kilometer entfernt liegenden Kalksteinmassiv verbesserte schnell die hygienische Situation in der Stadt und damit auch die Überlebensverhältnisse, die zuvor durch häufige epidemische Ausbrüche von Cholera, Typhus und weite Verbreitung von gastrointestinalen Infekten gekennzeichnet waren.
Im dritten Referat zeigte Dr. Payer anhand von zahlreichen Fotos, Gemälden der Brüder Alt, Testimonials wie Peter Altenberg („adeliges Wasser“) und einer Polka von Eduard Strauss („Die Hochquelle“), wie sie nach 1919 als Erste Hochquellen-Wasserleitung eine fast mythische Bedeutung als neue Sehenswürdigkeit der Stadt (vor allem der Hochstrahlbrunnen) bekam und sich immer tiefer in die Identität der Stadt einschrieb. Dr. Payer zeigte aber auch kritische und satirische Seiten, weil es im 19. Jahrhundert noch viele Anlaufschwierigkeiten bezüglich Kapazität und Rohrnetzerweiterungen gab.
In einer langen Diskussion wurden viele geschichtliche Aspekte der Wiener Wasserversorgung behandelt und seitens Dipl.-Ing. Weyrer (MA 31) festgestellt, dass es auch in den nächsten Jahrzehnten trotz Bevölkerungswachstum und Wassermehrverbrauch keine Kapazitätsprobleme geben werde.
Vorträge auf Youtube
Die Vorträge wurden aufgezeichnet und können auf unserem Youtube-Kanal angesehen werden:
Reinstes Wasser aus den besten erreichbaren Quellen. Zur Planungsgeschichte der Ersten Hochquellenleitung 1860 bis 1873
Die I. Wiener Hochquellenleitung: Wie ein Mythos entsteht
Bericht und Fotos (1, 3-5): Alfred Paleczny; Foto (2): Julian Traut
Zur Person
Mag.a (FH) Dr.in Christina Spitzbart-Glasl ist Umwelthistorikerin, Mitglied des Zentrums für Umweltgeschichte und arbeitet in einem Antiquariat. Sie studierte Projektmanagement für Erneuerbare Energietechnologien an der FH Wieselburg und Soziale Ökologie an der Universität Klagenfurt. 2021 schloss sie ihre Dissertation zur Umweltgeschichte der Wiener Wassermühlen ab.
Univ.-Doz. Dr. Andreas Weigl, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Wiener Stadt- und Landesarchivs und Lehrender am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Stadt Wien, Vorsitzender des Österreichischen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung und Viktor-Adler-Preisträger für Geschichte der Sozialen Bewegungen, Arbeiten zur Bevölkerungs-, Konsum-, Stadtgeschichte und Sozialgeschichte der Medizin.
Dr. Peter Payer ist Historiker, Stadtforscher und Publizist. Inhaber eines Büros für Stadtgeschichte, Kurator für „Kommunale Infrastruktur“ im Technischen Museum Wien. Vorstandsmitglied des Vereins für Geschichte der Stadt Wien und des Österreichischen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Sinnesgeschichte der Großstadt, öffentlicher Raum, Wiener Feuilleton. Zahlreiche Artikel in Zeitungen und Fachjournalen, Buchpublikationen zur Stadtgeschichte von Wien, zuletzt (gem. mit Johannes Hloch): Gebirgswasser für die Großstadt. Die I. Wiener Hochquellenleitung. Wien: Falter-Verlag 2023.
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