Vortrag: Das Projekt „Balkan Wien“. Fotografische Spurensuche am Beispiel des Fotonachlasses von Jovan Ritopečki
Vortragende: Dr.in Vida Bakondy, PD Dr. Robert Pichler (beide Institut für die Erforschung der Habsburgermonarchie und des Balkanraums, Österreichische Akademie der Wissenschaften)
Moderation: Univ.-Doz. Dr. Andreas Weigl
14. Dezember 2023, 18:00, Vortragssaal des Wiener Stadt- und Landesarchivs sowie Online-Raum
Am 14. Dezember 2023 stellten Dr.in Vida Bakondy und Dr. Robert Pichler, beide vom Institut für die Erforschung der Habsburgermonarchie und des Balkanraums bei der Österreichische Akademie der Wissenschaften, das Projekt Balkan Wien vor, das 2017 an ihrem Institut initiiert wurde und das sich mit Fragen der historischen und zeitgenössischen Zuwanderung von Migrant:innen aus dem Balkanraum nach Wien befasst.
In seiner Einführung verwies Univ.-Doz. Dr. Andreas Weigl auf die lange Geschichte der Migration von Südosteuropäer:innen nach Wien als „Magnet der Zuwanderung“ seit den 1960er Jahren infolge des kriegerischen Zerfalls Jugoslawiens (1991–1999) sowie im Zuge der sogenannten „Ostöffnung“ und der EU-Integration Bulgariens, Rumäniens (2007) und Kroatiens (2013).
Dr. Robert Pichler bedauerte, dass es über diese Migration in den Aus- und Zuwanderungsländern nur einige demographische, politikwissenschaftliche und soziologische Forschungsstudien gäbe und es deshalb sehr wichtig sei, sich auch mit der Implikation des Krieges, dem Diasporanationalismus und über identifikatorische Wandlungsprozesse infolge des Staatszerfalls von Ex-Jugoslawien zu beschäftigen. Anhand von Fallstudien befassen sich die Projekte der Forschungsplattform „Balkan Wien“ mit Fragen der Entstehung und Perpetuierung translokaler Migrationsnetzwerke, mit der Rolle von Familie und Verwandtschaft im Migrationsprozess, mit postmigrantischen Phänomenen von Marginalisierung und (mangelnden) Teilhaben in der Aufnahmegesellschaft sowie mit Fragen der visuellen Repräsentation von Migrant:innen.
Er schilderte die Forschungszugänge aus der Anthropologie, wobei eine Kombination von historischen und ethnographischen Methoden gewählt und die Darstellungen der vielschichtigen Entwicklungen mit teilnehmender Beobachtung kombiniert wurden. Dazu stellte er einige Projekte über zugewanderte Roma/Romnja und Nordmazedonier vor und ging besonders auf eine Studie ein, bei der er sich mit Albanern aus einem kleinen Dorf beschäftigte, die vor Jahrzehnten gruppenweise nach Wien kamen und durchwegs auf den städtischen Friedhöfen Beschäftigung gefunden haben.
Im zweiten Teil gab Dr.in Vida Bakondy Einblicke in ihr laufendes Forschungsprojekt über den jugoslawischen Fotoreporter Jovan Ritopečki (1923–1989), der in den 1970er und 1980er Jahren eine umfassende Bildproduktion der Präsenz und Lebenswelten jugoslawischer Arbeiter:innen in Österreich geschaffen hat. Dabei fotografierte er professionell das Vereins- und Familienleben sowie die Arbeits- und Wohnverhältnisse dieser Menschen vor allem in Wien. Sein Nachlass wurde ihr von seiner Tochter leihwiese zur Verfügung gestellt und wird nun bezüglich der Entstehung der Bilder und der Aussagekraft auf den heutigen Betrachter analysiert. Die Besonderheit dieses fotografischen Nachlasses zeichnet die Multiperspektivität aus, die durch die soziale Positioniertheit des Fotografen und die transnationale Dimension der Bildproduktion bedingt ist und für den es keine vergleichbare Dokumentation des Lebens von Gastarbeitern gibt.
Vortrag auf Youtube
Der Vortrag wurde aufgezeichnet und kann auf unserem Youtube-Kanal angesehen werden:
Vortrag: Das Projekt „Balkan Wien“. Fotografische Spurensuche am Beispiel des Fotonachlasses von Jovan Ritopečki
Bericht: Alfred Paleczny
Zur Person
Vida Bakondy ist Hertha-Firnberg Postdoc-Fellow am Forschungsbereich Balkanforschung an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Migrations- und Exilforschung, Visual Studies, österreichische Zeitgeschichte. Zahlreiche Forschungs- und Ausstellungsprojekte zur Geschichte der Arbeitsmigration nach Österreich.
Robert Pichler arbeitet als Historischer Anthropologe und Fotograf am Forschungsbereich Balkanforschung an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. In seiner Arbeit befasst er sich mit Migration in, aus und nach Südosteuropa sowie mit bildwissenschaftlichen Fragestellungen.
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