Vortrag: Graz und Wien im „Sturmjahr“ – Zum Verhältnis von Zentrum und Peripherie in der Revolution von 1848
Veranstaltung des Wiener Stadt- und Landesarchivs zur Themenschwerpunkt "Revolution 1848 – Geburtsstunde der Demokratie in Wien und Österreich" im Wien Geschichte Wiki (in Kooperation mit dem Verein für Geschichte der Stadt Wien)
Vortragender: Univ.-Doz. Dr. Gerhard Pfeisinger (Wien)
Moderation: Univ.-Doz. Dr. Andreas Weigl
9. November 2023, 18:00, Vortragssaal des Wiener Stadt- und Landesarchivs sowie Online-Raum
Im Rahmen des Wien Wiki Themenschwerpunktes „Revolution 1848 – Geburtsstunde der Demokratie in Wien und Österreich“, den das Wiener Stadt- und Landesarchiv in Kooperation mit dem Verein für Geschichte der Stadt Wien zum 175. Jahrestages dieser Revolution durchführte, referierte Univ.-Doz. Dr. Gerhard Pfeisinger am 9. November 2023 im Vortragssaal des Archivs über das Verhältnis von Zentrum (Wien) und Peripherie (Graz) in diesem „Sturmjahr“.
Er bedauerte, dass in der Geschichtsschreibung über die Revolution von 1848 vielfach die Provinzperspektive vernachlässigt worden ist, wodurch in mancherlei Hinsicht ein unvollständiges Bild der Revolution entstand.
Wien war als Kommunikations- und politisches Entscheidungszentrum seit der Märzrevolution ausschlaggebend für den Erfolg der Errungenschaften und blieb entscheidend auch für die weitere Entwicklung der Revolution in Österreich. Es wäre jedoch auch verfehlt, kurzweg auf einen „Reflex der Wiener Revolution“ in der Provinz zu schließen. Freilich sind viele Elemente in den Subzentren der Revolution in engem Zusammenhang mit den Ereignissen in Wien zu sehen, die lokalen Bewegungen haben aber auch ein hohes Maß an Eigenständigkeit hervorgebracht. Die Forderungen nach den bürgerlichen Grundrechten und ‑freiheiten wurden auch dort gestellt und nicht deshalb, weil sie gerade in Wien an der Tagesordnung waren. In der Petition der Grazer Gemeindevertreter vom 15. März 1848 heißt es, dass diese durch das Unglück und die Bitten der Mitbürger veranlasst worden war und nicht etwa aus leerer Nachahmungssucht für das, was auswärts geschieht, […] sondern damit nicht unser Schweigen in diesem Augenblicke den Irrthum veranlasse, als ob wir diese Wünsche und Bedürfnisse nicht theilten oder nie getheilt hätten. Abgesehen davon war das rasche Reagieren in den Provinzen auf die Wiener Revolution ein Garant für den Erfolg der Revolution in der gesamten Monarchie. Eine Beschränkung auf die Hauptstadt hätte für den Verlauf der Revolution vermutlich fatale Folgen gehabt und wahrscheinlich schon in einem frühen Stadium zu deren Niederschlagung geführt.
Dr. Pfeisinger widmete einen großen Teil seines Vortrages zwei Ereignissen, die die Verbindung der Grazer mit den Wiener Revolutionären deutlich bewies. Nach dem Sturm auf die Jesuitenschule und die Mauthäuser als Symbole der unbeliebten Verzehrungssteuer verbrüderten sich im April die Grazer mit einer Vielzahl angereister Wiener Revolutionären bei einem Fest im Schatten des Uhrturmes.
Im Oktober fuhren fast 1.000 Grazer Revolutionäre mit dem Zug nach Wien und nahmen dabei auch die Bauarbeiter der gerade im Bau befindlichen Semmeringbahn mit, um die Revolution in Wien zu unterstützten. Diese Aktion wurde auch durch Hilfskontingente aus Salzburg und Linz unterstützt. Trotz massiver Behinderungen durch Militär und Polizei kamen rund 50 Prozent auch in Wien an.
Nach der Revolution wurden auch die führenden Revolutionäre aus Graz eingesperrt, ihr Führer Vinzenz Emperger wurde zu 18 Jahren Festungshaft in Kufstein verurteilt, von denen er neun Jahre auch verbüßen musste.
Abschließend zeigte Dr. Pfeisinger, dass nach der Revolution in Graz zwar die Ressentiments gegen Wien größer wurden, die revolutionären Gedanken im Gegensatz zur Residenzstadt aber noch einige Jahre weiterlebten.
Vortrag auf Youtube
Der Vortrag wurde aufgezeichnet und kann auf unserem Youtube-Kanal angesehen werden:
Vortrag: Graz und Wien im „Sturmjahr“ – Zum Verhältnis von Zentrum und Peripherie in der Revolution von 1848
Bericht: Alfred Paleczny (auf Basis des Abstracts von Gerhard Pfeisinger)
Zur Person
Gerhard Pfeisinger, Studium der Geschichte und Germanistik in Salzburg, seit 1986 Lehrbeauftragter für außereuropäische Wirtschafts- und Sozialgeschichte an den Universitäten Linz und Wien, Tätigkeiten im Bereich der Erwachsenenbildung und Mitarbeit bei Ausstellungen; Habilitation zum Thema „Arbeitsdisziplinierung und frühe Industrialisierung“ 2003 (Böhlau 2006); Mitarbeit am Forschungsschwerpunkt „Globalgeschichte“ der Universität Wien mit dem Schwerpunkt Wirtschafts- und Sozialgeschichte Brasiliens, Argentiniens und der Karibik; 30 Jahre lang im Wissenschaftsministerium tätig und seit 2019 in Pension
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