Online-Vortrag: „Unsere Stadt Wien“ – die Anfänge der Wiener jüdischen Gemeinde im Mittelalter
Veranstaltung zum Themenschwerpunkt "1221 - Erstes Wiener Stadtrecht" in Kooperation mit dem Wiener Stadt- und Landesarchiv
Vortragende: PD Dr.in Evelyne Brugger, MAS (Institut für jüdische Geschichte Österreichs)
Moderation: Dr. Christoph Sonnlechner, MAS
25. November 2021, 18:00, Achtung: nur Online-Raum
Impulsvortrag: Unser Mittelalter! Zur neuen Dauerausstellung im Museum Judenplatz
Im Sommer 2021 eröffnete das Jüdischen Museum Wien die neu gestaltete Dauerausstellung am Judenplatz. Den Standort übernahm man vom Wien Museum. Die Neukonzeption wurde notwendig, da die historische, vor allem aber archäologische Forschung und die Bauforschung neue Erkenntnisse zutage gefördert hatten. Es galt deshalb, Inhalte neu darzustellen. Die neue Dauerausstellung ist um zusätzlich Objekte erweitert, ihre Darstellung aufgrund einer „Neubefragung“ der Objekte in einen weiteren Kontext gebracht. Es wird nun auch mit taktilen Modellen zum mittelalterlichen Judenviertel gearbeitet. Ganz neu ist die virtuelle Rekonstruktion der Synagoge.
„Unsere Stadt Wien“ – die Anfänge der Wiener jüdischen Gemeinde im Mittelalter
Eveline Brugger hinterfragte in ihren Vortrag zur ersten jüdischen Gemeinde Wiens anfangs die Kriterien, welche eine jüdische Gemeinde ausmachen. Wann kann man von einer solchen überhaupt sprechen, sind doch in den Quellen vorerst nur einzelne Juden genannt? Der jüdische Zuzug nach Wien lässt sich in erster Linie aus dem Herzogtum Österreich sowie aus Böhmen und Mähren nachvollziehen. Für die Wiener Juden, die unter dem rechtlichen Schutz des Herzogs in seiner Stadt Wien standen, entwickelten sich eine weltliche wie kirchliche Gesetzgebung.
Der Vortrag räumte anhand konkreter Beispiele mit einigen Mythen auf. So tätigten nicht nur Juden Zinsgeschäfte. Christen waren trotz Verbots ebenso in diesem Geschäft tätig. Weiters waren Juden entgegen älterer Forschungsmeinungen auch Grundbesitzer und mittelalterliche Judenviertel mussten nicht über eine Mauer verfügen. Im Gegenteil war es so, dass die allerwenigsten im Mittelalter ummauert waren und ein Ghetto im neuzeitlichen Sinn bildeten. Es waren eher innerjüdische Maßnahmen, die zu Abmauerungen führten. Das Leben von Juden und Christen gestaltete sich nicht so unähnlich. Christen waren mit jüdischen Ritualen vertraut. Es gab auch jüdische Handwerker und Juden waren auch im Dienstleistungsgewerbe tätig.
Brugger arbeitete heraus, dass die unter dem Schutz des Herzogs stehenden Wiener Juden wirtschaftlich für den Herzog von großem Nutzen waren. Die Stadt profitierte hingegen wenig bis nichts von ihren Geschäften, weswegen sie danach trachtete, die Rechte der Juden weitgehend einzuschränken. Sie wurden von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen. Vermehrten Verfolgungen waren die Wiener und österreichischen Juden erst nach der sogenannten „Pulkauer Hostienschändung“ 1338 ausgesetzt. Generell konnten die österreichischen Herzöge die Juden bis ins 14. Jahrhundert erfolgreich schützen.
Ab dem 15. Jahrhundert nahm die Bedeutung der Wiener jüdischen Gemeinde ab. 1421 fand die erste Gemeinde in der sogenannten Wiener Geserah ein Ende. Erstmals stand ein Herzog hinter einer derartigen Maßnahme. Die Hintergründe sind nicht restlos geklärt. Möglicherweise waren es wirtschaftliche, vielleicht aber auch religiöse Motive, die Albrecht V. die jüdische Gemeinde vertreiben und vernichten ließen. Die meisten Angehörigen der Wiener jüdischen Gemeinde flohen nach Wiener Neustadt, in steirisches Territorium, vor allem aber nach Ungarn.
Bericht: Christoph Sonnlechner, Fotos/Screenshots: Susanne Pils
Zur Person
PD Dr. Eveline Brugger MAS, Mitarbeiterin des Instituts für jüdische Geschichte Österreichs (St. Pölten), Lehrbeauftragte an der Universität Salzburg, Mitglied des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung. Forschungsschwerpunkte: Geschichte der Juden im Mittelalter, mittelalterliche Wirtschafts- und Sozialgeschichte, historische Hilfswissenschaften.
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