Vortrag: Wien und der Wein – Geschichte, Brauch und Brauchtum
Vortragender: Dr. Johann Werfring (Wien)
Moderation: Univ.-Doz. Dr. Andreas Weigl
10. April 2025, 18:00, Vortragssaal des Wiener Stadt- und Landesarchivs, Gasometer D, 11., Guglgasse 14 (4. Archivgeschoß; Zugang über Gasometer A und die Mall) sowie Online-Raum
Teilnehmer: max. 80 Präsenz (Anmeldung) | 100 Online (keine Anmeldung) , Voranmeldung bis spätestens 10.4.2025 über das Anmeldeformular auf unserer Website. Sie erhalten eine Bestätigung per E-Mail.
Die „gute alte Zeit“, wie die Ära vor der Mechanisierung und Modernisierung des Arbeitslebens oft verklärend genannt wird, war für werktätige Menschen von Entbehrungen und harter körperlicher Arbeit geprägt. Um die Mühen besser ertragen zu können, sorgten allerlei Rituale für Auflockerung. Sitten und Bräuche fungierten gewissermaßen wie ein Ventil, das im mühseligen Arbeitsalltag wenigstens für kurze Zeit Erholung und Erleichterung verschaffte.
In der einst agrarisch geprägten Gesellschaft kam in dieser Hinsicht dem Weinbau eine besondere Stellung zu. Kein anderer Zweig der Landwirtschaft brachte punkto Brauchgeschehen eine derartige Dynamik und Vielschichtigkeit hervor. Spielartige, neckische Arbeitsbräuche sorgten bei der harten Bauernarbeit für Heiterkeit. Ritualisierte Belohnungen lukullischer Art nach schweren Tätigkeiten sollten den Eifer der Arbeitskräfte anfachen.
In besonderem Maße kulminierte das Brauchgeschehen zur Zeit der Weinlese, die geradezu als Volksfest angesehen wurde. Gerade in der alten Weinstadt Wien gab es in dieser Hinsicht ganz besondere Festbräuche. Überlieferungen zufolge wurde in ehemals eigenständigen Dörfern rund um Wien wie Ottakring oder St. Veit die Weinlese sogar mit Musik umrahmt. Ebenso wie andernorts waren im Umfeld des Wiener Stadtgebietes aber auch Arbeitsbräuche in reichlicher Anzahl vorhanden.
Mit der Mechanisierung des Weinbaus und dem fortschreitenden Säkularisierungsprozess kamen nach dem Zweiten Weltkrieg die allermeisten Bräuche im Bereich des Weinbaus zum Erliegen. Diese Zäsur geht Hand in Hand mit einem gravierenden, bis dahin in der bäuerlichen Welt nicht gekannten Mentalitätswandel, der sich in den Jahrzehnten zuvor bereits abgezeichnet hatte. Schon seit der ausgehenden Monarchie hatten sich alte Bräuche sukzessive zu Brauchtum und Folklore gewandelt. Die damals neuen Formen der Erlustigung bei dörflichen Weinfesten, wie sie heute noch relikthaft in Tattendorf südlich von Wien vorhanden sind, übten auch auf Außenstehende einen beachtlichen Reiz aus. So konnte es vorkommen, dass etwa die Wiener Bäckerinnung oder diverse politische Vereinigungen in Anlehnung an bäuerliche Traditionen zur Herbstzeit ihre eigenen Weinlesefeste veranstalteten.
Als schließlich im Gefolge des sogenannten Wirtschaftswunders immer breitere Bevölkerungskreise zu Wohlstand gelangten, bemächtigte sich zunehmend die Gastronomie des Brauchtums und verwandelte es in kulinarische Events. Wenngleich heutzutage diverse Veranstalter und Gastronomen alte Traditionen für geschäftliche Zwecke instrumentalisieren, so erwecken sie mit der Anknüpfung an frühere Gepflogenheiten doch auch ein Bewusstsein für den Alltag der Altvorderen, der im Jahreskreis nicht unwesentlich durch Bräuche strukturiert gewesen ist.
Titelbild: Brauchtumsgeschehen in Pötzleinsdorf anno 1931, im Vordergrund der „Hiata” (© Johann Werfring)
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Zur Person
Mag. Dr. Johann Werfring, Diplomstudium (Geschichte und Germanistik) und Doktoratsstudium (Geschichte) an der Universität Wien (1996 Sponsion, 1999 Promotion). 2000 bis 2023 Geschichtsfeuilletonist und mehrfacher Kolumnist der Wiener Zeitung. Seit 2000 Lektor für Agrargeschichte an der Universität für Bodenkultur Wien. Seit 2006 Mitarbeiter der Fachzeitschrift Vinaria. Seit 38 Jahren ehrenamtlicher Bewährungshelfer in Wien. Publikationen zur Geschichte der Medizin, zur Geschichte Wiens und zur Kulturgeschichte des Weins.
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